Sie traute sich nicht ihre Augen zu schauen. Stattdessen schaute sie auf den Boden und fragte mit einem leisem Stimmchen: „ Was hab ich den Anderen getan, dass sie mich nicht mögen?“
Sie wollte antworten, sie musste antworten, immerhin war sie für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit zuständig, als Therapeutin, doch auch sie wusste darauf keine genaue Antwort.
An ruhigen Abenden fragte sie sich dieses nämlich auch oft. Doch wenn sie selbst keine Antwort kannte, wie sollte sie ihr dann eine glaubwürdige rüberbringen?
„Weißt du, Christina…“, fing sie zögerlich an das Schweigen zu brechen. „…es gibt Leute, die sind mit sich selbst so unzufrieden, dass sie ihre eigenen Fehler bei Anderen verurteilen.“
Christina hob ihren gesenkten Kopf und fragte: „Aber wieso suchen mich alle aus?“
Sie überlegte nach den richtigen Worten und meinte daraufhin: „Ich weiß es nicht, aber was ich weiß ist, dass du ein nettes Mädchen bist und es nicht verdienst hast so behandelt zu werden. Doch siehst du es selbst auch so?“ „Ich weiß nicht, wenn alle so gemein sind, dann muss ich es wohl verdient haben.“ „Das ist doch gar nicht war, Christina. Glaub mir, wenn du selbst anfängst dich zu lieben und ganz zu akzeptieren, werden die anderen das auch. Du musst nur wissen wer du bist und was du willst.“
Schon wieder füllte ein Schweigen den Raum. Christina saß da, wusste nicht was sie sagen sollte, ob sie überhaupt darauf was sagen sollte. Vielleicht wäre es besser wenn sie es alles einfach schweigend zur Kenntnis nahm.
Die Therapeutin sah Christina liebevoll an und meinte daraufhin: „Ich glaube wir machen für heute Schluss. Denk aber bitte über meine Worte nach Christina.“
Christina nickte und verließ den Raum.
Einen Monat später hatte Christina mit der Therapeutin erneut eine Sitzung. Diesmal betrat Christina freudig den Raum. Der Therapeutin fiel dies sofort auf, da Christina sonst eher ziemlich in sich gekehrt ist und eine Neigung zur Depression hat.
„Christina erzähle mir doch mal, wie war deine Woche so?“ Freudig fing Christina von dem neuen Mädchen an zu reden. „ Ich habe eine Freundin gefunden, sie ist jetzt immer an meiner Seite und mag mich wie ich bin.“ Die Therapeutin freute das.
Doch am Abend als die Therapeutin zu Hause die Zeitung aufschlug, erblasste sie.
Auf der Seite stand in Grossbuchstaben:
„Kleines Mädchen (9) starb gestern früh beim Brand“
Sie schaute sich noch mal das Bild an. Das kann nicht sein. Immerhin war Christina noch heute bei ihr, oder nicht?
Sie konnte sich das nicht erklären. Sie ging noch mal ihre Unterlagen durch. Christina war Einzelkind. Sie konnte also keine Zwillingsschwester haben.
Sie musste schlucken.
Wieso fand sie ernst nach ihrem Tod frieden?